de:doku:formalism

Innenballistisches Modell, Pulvermodellierung & Quellen

Das im GRT verwendete innenballistische Modell ist eine Eigenentwicklung u.A. auf Basis der Informationen, welche im Buch “Waffentechnisches Taschenbuch” von Rheinmetall1), sowie in den Büchern “Ballistik - Theorie und Praxis” von Beat P. Kneubuehl2), sowie “Ballistik” von Richard Emil Kutterer3) zu finden sind und beeinflusst durch IBHVG2 “Lumped-parameter model”4).

Die verschiedenen Treibladungspulver haben verschiedene Abbrandcharakteristika, d.h. je nach Hersteller und Typ verbrennt das Pulver im Laufe der Druckentwicklung mit unterschiedlich schneller Geschwindigkeit! Solche Pulver sind dann progressiv, degressiv bzw. eine Kombination daraus. Die Begriffe “progressiv” und “offensiv” schließen sich hier übrigens nicht aus, denn auch ein offensives Pulver kann stark progressiv ausfallen.

Mit dem unterschiedlichen Abbrandverhalten lässt sich beeinflussen, ob z.B. ein Geschoss in einem längeren Lauf stärker beschleunigt wird und gleichzeitig aber der Druck dabei niedrig bleiben kann.

Diese Pulver-Abbrandcharakteristik wird in der Simulationsrechnung durch sog. Formfunktionen mathematisch nachgebildet. Diese Formfunktion beschreiben mathematisch angenähert und kalibriert das Verhalten des Pulvers während des Abbrands.

Die mathematische Abbildung einer Pulvercharakteristik erfolgt anhand einer genormten Messung mit einer Kalorimeter- und einer manometrischen Bombe (Druckbombe), welche ein spezifisches Volumen aufweist. Es werden dann mehrere Messungen mit festgelegter Testmenge delta eines Treibladungspulvers durchgeführt und aufgezeichnet.

Die Parameter der Formfunktionen werden so verändert, dass sie die Messkurve nachbilden/modellieren. Anschließend erfolgt eine Kalibrierung der Formfunktionen mit zahlreichen Beschussdaten über mehrere Kaliber.

Die mathematische Abbildung deckt sich hierbei nach der Adaption und Kalibrierung nicht zwangsläufig mit den original Messdaten, da sich die Treibladung dynamisch anders verhält als in der Druckbombe. Ohne eine Druckbombenmessung ist das Erstellen eines approximierten Modells zwar durch Beschussdaten über ein großes Kaliberspektrum möglich, jedoch sind die derartig erstellten Daten dennoch häufig sehr ungenau.

Die Druckbombenmessung zählt daher zu den wichtigsten Ausgangsdaten für eine Pulvermodell. In der Regel führen die Pulverhersteller diese Messung zur Forschung und Qualitätskontrolle durch.

Der in den Pulverdaten angegebene Wert Ba ist der Beginn dieser Kurve, welche sich aus zwei oder mehr Teilstücken zusammensetzt. Im Gegensatz zu den anderen Programmen hat GRT eine eine dreistufige Darstellung des Abbrandverhaltens, die das Verhalten von Mehrbasistreibstoffen und zum Teil auch Additive wie Anti-Kupfer-Fouling und Temperatur-Stabilisatoren etc.

Die Berechnungen der Innenballistik ist auf diese Pulverkenndaten angewiesen. Zur Ermittlung der Pulverkenndaten gibt es entweder die Möglichkeit der thermodynamischen Berechnung5), oder der experimentellen Bestimmung. Die Experimentelle Bestimmung der meisten Pulverkenndaten, lässt sich mithilfe einer manometrischen Bombe durchführen.

Die manometrische Bombe

Druck in der manometrischen Bombe

Die Grundidee hinter der manometrischen Bombe ist, dass in einem festgelegten Volumen V_mb eine bestimmte Menge Treibladungspulver mc verbrannt wird. Bei Brennschluss stellt sich hierbei ein Pulver- und mengenabhängiger Maximaldruck p_mb ein.

p_mb * ( V_mb - b * mc ) = mc * R * T_ex

mc ist hierbei die Pulvermasse, b ist das Kovolumen, R die Gaskonstante und T_ex die Explosionstemperatur (Flammtemperatur) der Verbrennungsgase (in der Regel thermodynamisch berechnet).

Pulverkonstante, spezifische Energie

Die spezifische Energie F_se erhält man vom Produkt aus Gaskonstante R und Explosionstemperatur T_ex:

F_se = R * T_ex

Diese spezifische Energie stellt die Druckenergie beim Abbrennen des Pulvers dar, welche für die Umwandlung in mechanische Energie zur Verfügung steht.

Abel'sche Gleichung

Der englische Chemiker F. A. Abel hat mit seinen Untersuchungen und der von ihm 1874 publizierten Gleichung gezeigt, dass man die allgemeine Zustandsgleichung bei hohen Drücken gut verwenden kann, weswegen hier auch nicht die Van-der-Waals-Gleichung zur Anwendung kommt. Bei den Verhältnissen die in der Ballistik und Sprengstofftechnik auftreten, ist dem Eigenvolumen der Gasmoleküle Rechnung zu tragen (Kovolumen b). Führt man noch die Ladedichte delta aus dem Verhältnis von Pulvermasse mc und Verbrennungsraum V_mb ein (mc/V_mb), erhält man die in der Ballistik als Abel'sche Gleichung bekannte Gleichung:

p_mb = (delta * F_se) / (1 - delta * b)

Messungen

Die Ladedichte im Verbrennungsraum der manometrischen Bombe darf einen Größtwert nicht überschreiten, damit man von Messung zu Messung eine gleichmäßige Verbrennung und damit einen auswertbaren Druckverlauf erhält. Der Größtwert selbst hängt hierbei von der spezifischen Explosionswärme Qex des verwendeten Pulvers ab. Nach den Untersuchungen von Gallwitz hat die Erfahrung gezeigt, dass etwa delta * Qex = 545 kcal/dm³ sein muss.6)

Rohdaten & Nachbearbeitung

In der Praxis muss man jedoch wegen der unvermeidlichen Streuung die Messungen mit unterschiedlichen Ladedichten durchführen. Spezifische Energie und Kovolumen wird dann mittels einer linearen Regression bestimmt. Die reziproken Werte der durchgeführten Messungen bilden Wertpaare. Die Steigung der Regressionsgeraden ergibt den Reziprokwert der spezifischen Energie F_se, aus welcher das Kovolumen b ermittelt werden kann.

Bei der Messung wird der Druck in Abhängigkeit zur Zeit aufgezeichnet, wobei man mit z(t) den Anteil der umgesetzten Ladung bezeichnet.

Wie gesagt, das Problem ist hier die unvermeidliche Streuung, aber auch das Rauschen des Signals:

Die aufgezeichneten Daten werden analysiert & nachbearbeitet, z. B. mit Filtern wie Savatsky-Golay oder LOWESS. Die Ergebnisse können in Abhängigkeit von den verwendeten Filtern und Parametern variieren. Das ist der Grund, warum die in einem GRT-Pulvermodell verwendeten Werte leicht von den vom Hersteller veröffentlichten Zahlen abweichen können, weil der Hersteller möglicherweise andere Filter oder Parameter für seine Analyse verwendet.

Setzt man anstelle von z(t) das Abbrandgesetz ein, kann nach dem Produkt aus dynamischer Lebhaftigkeit und Formfunktion phi(z) aufgelöst werden (siehe Bild/Diagramm oben, Y-Achse).

( Ba * phi(z) ) / p0 = (ppunkt(t) / p(t)) * 
( (1- b*z(t)*delta - (1-z(t))*delta/pc)² / (delta * F_se * (1-delta/pc)) )

b ist hierbei das Kovolumen, delta das Verhältnis aus Pulvermasse und Verbrennungsraum mc/V_mb und pc die Dichte (Massendichte) der Pulversubstanz.

Die Änderung des Abbrandverhaltens durch Pulver-Temperatureinfluss wird im GRT durch Temperaturkoeffizienten dargestellt, welche die Bereiche unterhalb und oberhalb der Vorgabetemperatur von 21°C getrennt abbilden (siehe Bild rechts, nicht maßstabsgetreu).

Dem Anwender wird die Möglichkeit gegeben, die Treibladungspulvertemperatur vom Vorgabewert innerhalb eines begrenzten Bereichs abzuändern, um Ggf. umgebungsbedingten Einflüssen Rechnung tragen zu können.

Allgemein wird der Temperaturdrift der Treibladungsmittel anhand allgemein anerkannter Untersuchungen und Algorithmen abgebildet. 7) 8) 9) 10) Einige Hersteller geben hierzu für ihre Treibladungspulver Temperaturkoeffizienten aus spezifischen Messungen an, was die Ergebnisse verbessert, andernfalls werden die internen Vorgabekoeffizienten verwendet.

Zur Ermittlung der Koeffizienten werden bei gegebener Temperatur die Messungen der Lebhaftigkeit erneut durchgeführt und anschließend folgendermaßen berechnet:

Temperaturkoeffizient kalt (tcc)
tcc = (Ba(T= +21°C) - Ba(T= -20°C)) / (21+20)
Temperaturkoeffizient heiß (tch)
tch = (Ba(T= +60°C) - Ba(T= +21°C)) / (60-21)

Die durch die Umsetzung der Treibladung freigesetzte chemische Energie teilt sich bei der Schussentwicklung wiederum im Wesentlichen in folgende Größen auf:

  • translatorische Geschossenergie
  • rotatorische Geschossenergie
  • Strömungsenergie der Pulvergase
  • Innere Energie der Pulvergase
  • Wärmeverluste an Rohr, Geschoß und Hülse
  • Gasverluste, Reibung und Akkustik (Schwingungsverhalten)
  • Arbeit gegen den Ausziehwiderstand
  • Arbeit beim Einpressen des Geschosses in die Züge
  • Energie der rücklaufenden Waffenteile
  • Energie zum Antrieb (halb-)automatischer Waffen

Die Reibungsverluste am Geschoss werden im Algorithmus durch Modelle dargestellt, wobei Reibwiderstände primär durch den Geschosshersteller vorgegeben werden sofern verfügbar. Dem erfahrenen Anwender wird die Möglichkeit zur manuellen Einstellung gegeben.

Die Strömungsenergie der Pulvergase lässt sich durch Hinzufügen eines Anteils der Ladung (Mitführungsfaktor, “Sebert-Faktor”) zu der zu beschleunigenden Geschossmasse in der Rechnung erfassen. Man rechnet also, wie auch in anderen Bereichen der Physik üblich, mit einer effektiven Masse. Auch andere Energieverluste lassen sich hier in der effektiven Masse berücksichtigen, wie z.B. die Energieverluste durch Wärmeeintrag.

Die Gasverluste durch konstruktive Gegebenheiten wie z.B. der Ringspalt bei Revolvern können bis zu 20% betragen. Sie können vom erfahrenen Anwender mithilfe eines Assistenten eingegeben werden.

Der Anteil des Waffenrücklaufs sowie gegebenenfalls der Antriebsenergie von automatischen Waffen wird nicht berücksichtigt.

Die Daten der Treibladungspulver basieren auf unseren eigenen Labordaten und von den jeweiligen Herstellern zur Verfügung gestellten Rohdaten.

Die vom GRT bereitgestellten Kaliber-, Geschossdaten sind mühevoll von durch das GRT Entwicklerteam und der Community erstellt und von Hand eingepflegt.

Ein besonderer Dank geht an die Firmen (in alphabetischer Reihenfolge):

Es ist aufgrund von Herstellungsschwankungen und Toleranzen wichtig, die bereitgestellten Daten mit den realen Gegebenheiten zu vergleichen und Ggf. anzupassen. Insbesondere z.B. Hülsenvolumen und Geschossmaße müssen immer geprüft werden. Es wird keine Garantie auf Korrektheit bereitgestellter Daten gegeben!


1)
“Waffentechnisches Taschenbuch”, Rheinmetall, 1977, ASIN: B002FOOB8G
2)
“Ballistik - Theorie und Praxis”, Beat P. Kneubuehl, ISBN: 978-3-662-58299-2
3)
“Ballistik”, Richard Emil Kutterer, ISBN: 978-3-663-02335-7
4)
“IBHVG2 - Interior Ballistics of High Velocity Guns, Version 2”, ASIN: B00CQCV310
5)
Köhler et al., 2008, Akhavan, 2008
6)
“Explosivstoffe”, J. Köhler, R. Meyer, ISBN: 9783527660070
7)
Karim et al. (2015). “Influence of Firing Temperature on Properties of Gun Propellants.” Propellants.“
8)
STANAG 4115. 1997. “Definition and Determination of Ballistic Properties of Gun Propellants. North Atlantic Council.”
9)
STANAG 4489. 1999. “Explosives, Impact Sensitivity Tests. NATO Standardization Agreement.”
10)
Clifford, W. 1982. “Temperature Sensitivity of Aircraft Cannon Propellants. AFATL-TR-82-72.”

This website uses only functional necessary cookies.

By clicking on OK, you agree with storing that cookies on your computer for the time of your session.
If you do not agree please leave the website.

Show information about the used cookies.

Show our policies.

  • de/doku/formalism.txt
  • Last modified: 2021/05/30 03:33
  • (external edit)